Sophie schaut auf die Uhr. Schon zwanzig nach sechs. Eigentlich wollte sie schon vor fast anderthalb Stunden nach Hause gehen. „Ich will keine Überstunden mehr machen“, sagt sie in der Coaching-Sitzung.
„Was willst du denn stattdessen? Wie würdest du ein positives, erreichbares Ziel in Worte fassen?“
Dr. Julika Zwack formuliert in ihrem Buch Wie Ärzte gesund bleiben – Resilienz statt Burnout 10 Verhaltensregeln für Ärzt:innen. Ihre Empfehlungen basieren auf über 200 Interviews – mit Ärztinnen und Ärzten, die selbst Burnout erfahren haben, sich Hilfe gesucht und im Rückblick reflektiert haben. Also direkt von Betroffenen.
Gerade Berufsanfängerinnen wissen ziemlich genau, wie der Hase läuft und beobachten ihre älteren Kolleg:innen genau. Sie sehen genau, wo Erschöpfung und Burn-Out droht, wo die Work-Life-Balance in Gefahr gerät und mit den Lebensenergien nicht nachhaltig gehaushaltet wird. Daher sind die 10 Gebote fester Bestandteil meiner Workshops – z.B. in “Die Prioritäten stimmen – eine Denk-, Fühl-, und Arbeitswerkstatt”.
Ein unfassbar wertvolles und kompaktes Buch. Leider ist es vergriffen, nur noch antiquarisch erhältlich oder als e-Book. Lieber Thieme-Verlag, wollt ihr es nicht mal neu auflegen?
Tipp 1: Setze dir Annäherungs- statt Vermeidungsziele
Wir sind wieder bei Sophie. „Ich WILL keine Überstunden mehr machen“, wiederholt sie nochmal und schaut mich fest an. „Was willst du denn stattdessen? Wie würdest du ein positives, erreichbares Ziel in Worte fassen?“
Also:
Weniger: „Ich will keine Überstunden mehr machen“
Mehr: „Ich möchte pünktlicher die Arbeit verlassen.“
Noch besser: „Ab 17 Uhr gebe ich neue Arbeitsaufträge der Spätdienstkollegin und um 17:45 beginne ich die letzte Aufgabe des Tages.”
Klingt machbar?
Bonusfrage: Wie lautet dein persönliches Annäherungsziel für entspannteres Arbeiten?
Tipp 2: Kleine Veränderungen für mehr Resilienz – sich auf den Weg machen und dranbleiben!
Yes – du hast eine machbare, klare, operationalisierte Zielformulierung? Glückwunsch!
Welche Zielformulierungen schwirren dir durch den Kopf? Sag sie – schreib sie auf. Kleb sie dir an den Spiegel, wenn du morgens das Haus verlässt. Bau dir ein „Motivational” und auf den Handy-Sperrbildschirm damit.
Aber dann? Die Klinik verlassen um 18 Uhr? Nicht geklappt? Aber auch nicht geblieben bis 20 Uhr? Sondern, Jacke an um 18:15 und zusammen mit dem Pizzalieferdienst zu Hause eingetroffen und den gemütlichen Abend mit dem Partner oder der Partnerin eingeläutet?
Ja, wunderbar!
Kleine Verbesserungen und Erfolge entdecken, beobachten, und jeden Tag aufs Neue versuchen, das Ziel zu erreichen. Vielleicht ein Erfolgstagebuch führen, vielleicht Erfolge mit deinem Veränderungsbuddy austauschen. Werd kreativ und checke, was deine Motivatoren sind!
Bonusfrage: Auf welche kleinen Mini-Erfolge blickst du stolz zurück?
Tipp 3: Kultiviere deine Patient:innenbeziehung
Finde die Balance zwischen:
- „Nur ich allein muss alle retten“ – also Aufopferung
- „Diese unverschämte Anspruchshaltung der Patienten von heute“ – also zynische Beziehungslosigkeit
Für Aufopferung hat niemand dauerhaft Energie. Und du kennst vielleicht die Gedanken, die aufkommen, wenn deine Energie zur Neige geht: „Wie kann der Patient sich jetzt in die Notaufnahme wagen?“ Zynismus aber verletzt am Ende vor allem dich selbst – und wirkt oft bis ins Privatleben hinein. „Du wirkst so verhärtet“ – mag die Rückmeldung lauten.
Deinen persönlichen Weg dazwischen zu finden, ist die Herausforderung. Gespräche mit Kolleg:innen, Freund:innen oder ein Coaching können dir dabei helfen.
Tipp 4: Finde deinen Umgang mit Fehlern
Fehler – und Beinahe-Fehler – gehören zum ärztlichen Alltag. Patientensicherheit ist zu Recht ein Riesenthema. Aber: Fehler passieren. Nicht darüber zu sprechen, führt zu Isolation und Selbstzweifeln. Erst im Austausch mit anderen wird klar: Anderen geht es ähnlich – und es gibt Wege, mit Schuld umzugehen.
Balint-Gruppen, Supervision oder persönliche Netzwerke können dir dabei helfen.
Bonusfrage: Wie hast du Fehler bisher verarbeitet? Was war hilfreich für dich?
Tipp 5: Halte deine fachliche Begeisterung am Brennen
Einer meiner geschätztesten Oberärzte sagte einmal: „Man braucht ein Hobby im Beruf.“
Ich stimme zu. Ein mit Hingabe gepflegtes Spezialgebiet, eine Fortbildung, die dich begeistert, oder ein leidenschaftlich geführter Fachdisput – all das kann dir Energie und Motivation für Wochen oder Monate geben.
Bonusfrage: Was entfacht bei dir das fachliche Feuer? Welche Kolleg:innen inspirieren dich immer wieder?
Tipp 6: Plane deine freie Zeit – Pausen, Arbeitszeiten, Auszeiten. Damit Work-Life-Balance kein Fremdwort bleibt.
„Wann hattest du zuletzt Urlaub?“ frage ich meine erschöpfte Kollegin, die müde in den Novemberregen schaut.
„Ich hab noch 60 Tage übrig dieses Jahr“, sagt sie achselzuckend.
Wie wäre es mit einem #Tipp 1 – Annäherungsziel: Nächstes Jahr plane ich 80 % meines Urlaubs im Vorhinein.
Tipp 7: Pflege deine außerberuflichen Lebenswelten
„Oh nein, noch so viel zu tun – da lasse ich den Sport wieder sausen.“
Kennst du das? Wenn Hobbys oft ausfallen, vergisst man irgendwann, wie viel Spaß es machen kann, sich verschwitzt, vital und lebendig zu fühlen. Und manchmal merkt man zu spät, dass Freunde oder Partner inzwischen ganz woanders im Leben stehen.
Investiere dich bewusst in ein Leben außerhalb des Jobs!
Tipp 8: Beziehe Haltung gegenüber Kolleg:innen – JA und NEIN
Kannst du NEIN sagen, wenn ein Kollege dich um Hilfe bittet, du aber eine für dich oder deine Familie wichtige Verabredung hast?
Dann sagst du NEIN zum Kollegen – aber JA zu dir selbst und deinen Bedürfnissen (siehe auch Tipp 7).
Und keine Sorge: Es wird Gelegenheiten geben, bei denen du wieder JA sagen kannst. So entsteht echter kollegialer Zusammenhalt.
Tipp 9: Wenn es sein muss – wie gestaltest du es effizient, delegiert, strukturiert, priorisiert, angenehm?
Du hast alles abgewogen, und es bleibt bei dir hängen. Dann lohnt sich die Frage: Wie kannst du die Aufgabe möglichst energiesparend umsetzen?
- Was lässt sich delegieren?
- Wie priorisierst du sinnvoll?
- Wie strukturierst du deinen Ablauf?
- Und: Kannst du die Aufgabe so gestalten, dass sie dir angenehmer wird?
🥳 Ich liebe z. B. Pinienduft bei der Abrechnung.
Bonusfrage: Wie machst du dir Unangenehmes angenehmer?
Tipp 10: Investiere in deine Selbsterkenntnis
Warum glaubst du gerade jetzt, dass du die Welt retten musst? Welche inneren Antreiber pushen dich? Welche Erwartungen hast du an dich selbst – und welche alten Glaubenssätze hängen vielleicht daran? Welcher Schein muss aufrecht erhalten werden, weil sonst Schuldgefühle und Scham drohen?
Wie auch in Tipp 4 gilt: Balint-Gruppen, Supervision oder Gespräche mit befreundeten Kolleg:innen helfen beim Reflektieren. Und wenn du tiefer schauen willst, ist Coaching ein guter Weg. Am besten, bevor zu mit Schlaflosigkeit in der Burn-Out Falle sitzt. Du kannst dabei Ballast loswerden – und dir selbst wieder näherkommen. Interessiert? Buch dir hier dein kostenloses Erstgespräch bei mir. Du brauchst noch ein paar Argumente, bevor du mit einem Coach redest? Dann lies hier weiter.
Fazit
Egal ob Berufsanfänger:in, Umsattlerin, Neu- oder Durchstarterin: Krankenhaus und Gesundheitswesen fallen in die Kategorie “Gierige Organisation”. Egal wie, es dürfte immer eine Schippe mehr sein. Sich von Anfang an solide und mit realistischen Erwartungshaltungen an sich selbst aufzustellen und sensibel auf Zeichen der Erschöpfung zu achten, hilft, die Work-Life-Balance auszutarieren und die Resilienz zu pushen.
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