2024-04-22

Psychologisierung - aus “Die Humanisierung der Organisation”

„Lisa, du musst an dir arbeiten. Du musst lernen, besser zu priorisieren und effizientere Gespräche zu führen. Die anderen haben das auch geschafft!“

Die Assistenzärztin Lisa ist im vierten Jahr ihrer Assistenzarztzeit und hat den Stationsalltag fest im Griff. Vor 6 Wochen ist sie in die Onko-Ambulanz gewechselt: Seither versteht sie die Welt nicht mehr. Obwohl ihr die Abläufe und Prozesse hinreichend vertraut sind, kommt sie mit der Arbeit und den Patientenkontakten einfach nicht hinterher. Unter der Hand hat sie das auch von anderen Assistenzärzten erfahren, offiziell will sich aber niemand äußern.

Die Überstunden häufen sich, das Privatleben leidet und Lisa spürt, wie ihrer Zündschnur immer kürzer wird. Sie hat ein ungutes Gefühl im Bauch, als die Oberärztin sie zu sich ruft und Lisa ihr Unvermögen unter die Nase reibt.

😭 Lisa verspricht stammelnd, auf eigene Kosten einen Workshop Zeitmanagement zu besuchen und verlässt flach atmend, mit Tränen in den Augenwinkeln und hämmerndem Puls das Zimmer 😤🤯.

Einen ganz anderer Blick werfen Judith Muster, Kai Matthiesen und Peter Laudenbach auf die Situation
„Warum sachlich, wenn es auch persönlich geht - Weshalb Organisationen Fehler lieber bei ihren Mitgliedern suchen als bei sich selbst“ in ihrem Buch „Die Humanisierung der Organisation“ und bezeichnen dieses Muster als

Psychologisierung.

„Die Personen sind in Organisationen leicht greifbar und können für Schwierigkeiten verantwortlich gemacht werden. Die lästige Suche nach anderen, wirklichen Ursachen erübrigt sich dann.“ sagt Prof. Stefan Kühl, Organisationssoziologe an der Universität Bielefeld.

Bist du in deiner Organisation dem Prinzip „Psychologisierung“ begegnet?